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Interview für Lidové noviny, 2. 6. 2018

Velvyslanec Christoph Israng, © Německé velvyslanectví
Welche Perspektive sehen Sie für die weitere Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen?
Unsere beiden Länder in der Mitte Europas haben so viele Gemeinsamkeiten, dass ich sehr optimistisch bin. Wir sind von Freunden umgeben, mit denen wir in EU und NATO zur Stärkung von Wohlstand und Sicherheit eng zusammenarbeiten. Auch bei Wirtschaft und Kultur gibt es vieles, was uns verbindet. Es gibt aber selbstverständlich auch Herausforderungen, die wir im Austausch lösen können. Dazu dienen die Plattform des Strategischen Dialogs, das Deutsch-tschechische Gesprächsforum und der Zukunftsfonds, die auf der Deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 basieren.
Wie verläuft der Strategische Dialog? Werden da nur umstrittene Fragen gelöst oder eher Themen, wo man mit einer Einigung rechnen kann?
Der Strat. Dialog hat derzeit neun Arbeitsgruppen, die eine große Themenbandbreite abdecken, von Gesundheit bis Sicherheit, von Migration bis Energie. Hochrangige Experten der beiden Regierungen treffen sich regelmäßig, um sich gegenseitig über ihre jeweiligen Positionen zu informieren und sich zu koordinieren und dadurch bilaterale Projekte voranzutreiben. Die dt-cz. Initiative für eine europäische Waldstrategie ist nur ein Beispiel für die konkreten Ergebnisse des Strat. Dialogs. Ein weiteres ist das gemeinsame Projekt in einen Flüchtlingslager in Jordanien, das ein Ergebnis der Zusammenarbeit in den Themen der Migrationspolitik ist.
Gibt es eine ähnliche Plattform auch zwischen Deutschland und anderen Ländern?
Der Strategische Dialog mit CZE ist einzigartig. Das heißt, dass wir mit keinem anderen Staat eine ähnliche Plattform haben. Ein großer Vorteil ist, dass wir im Rahmen des SD eine breite Palette von Themen lösen können und auch dass er kontinuierlich stattfindet. Mit anderen Worten ist es nicht so, dass einmal in zwei Jahren eine große Veranstaltung für die Öffentlichkeit organisiert wird, sondern es findet ein laufender Meinungsaustausch statt.
Wie hat sich das lange Warten auf die Regierung in Deutschland und jetzt auch in Tschechien auf den SD ausgewirkt?
Hier muss man darauf hinweisen, dass unsere Regierungen nicht die einzigen Akteure in den deu-cze Beziehungen sind. Die Zusammenarbeit im Bereich Schulwesen oder Kultur lief also normal weiter, weil sie auf der Ebene der zuständigen Ministeriumsbeamten erfolgte.
Wo bestehen derzeit die größten Unterschiede zwischen Berlin und Prag? Ist es beim Thema Migration?
Es stimmt, dass das Thema der Migration in den letzten zwei Jahren stark dominant war, aber auch hier konnte ein konstruktiver Dialog zustande kommen, der dann zu dem gemeinsamen Flüchtlingsprojekt in Jordanien führte, das von beiden Seiten mit Millionen von Euro gefördert wird. Aber auch auf diesem Gebiet herrscht in vielen Sachen Einigkeit. Zum Beispiel bei der Notwendigkeit, den Schutz der europäischen Außengrenze zu stärken und mehr Anstrengungen in den Transit- und der Herkunftsländern zu unternehmen, damit die Flüchtlinge auch außerhalb der EU eine Perspektive haben.
Wann können wir erwarten, dass sich die BKin Angela Merkel und PM Andrej Babiš treffen?
Seit dem letzten Herbst gab es bereits mehrere Kontakte zwischen den beiden Regierungschefs. Ein längeres Treffen der beiden in Berlin oder Prag wurde bisher aufgrund der langwierigen Regierungsbildung in beiden Ländern nicht möglich. Ich bin aber zuversichtlich, dass es dazu bald kommt.
Vor ein paar Wochen fand der traditionelle Sudetendt. Tag statt, bei dem der Sprecher der Sudetendeutschen Berndt Posselt u. a. sagte, dass er sich vorstellen kann, dass der SdtTag irgendwann in Zukunft auch in CZE stattfinden könnte. Wie realistisch ist das? Wann wäre CZE reif dafür?
Die Sudetendeutschen sind sehr interessiert an guten Beziehungen mit den Tschechen. Sie haben daher viele Projekte initiiert, die zum Vorteil aller, auch der Tschechen, sind. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Tschechen dies als Chance verstehen. Dann kann ein Klima des gegenseitigen Vertrauens entstehen, in dem auch ein Treffen der Sudetendeutschen in der Tschechischen Republik kein Anlass zur Furcht sein wird. Aber selbst wenn Unterschiede fortbestehen, darf uns dies nicht an einer engen und freundschaftlichen Zusammenarbeit hindern wie wir dies bereits in der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 vereinbart haben.
Ist die Änderung der Satzung der Landsmannschaft, in der sie auf Vermögensansprüche verzichtet und gegen die es eine Reihe von Gerichtsklagen gab, schon endgültig abgeschlossen?
Die mehrmaligen Abstimmungen der Gremien der Sud.-L. haben klar gezeigt, dass es eine deutliche Mehrheit bei den S-deutschen gibt, die die Satzungsänderung und die aktuelle Ausrichtung unterstützen. Es ist bedauerlich, dass es sowohl unter den S-deutschen als auch auf der tschechischen Seite kleine Gruppen von Leuten gibt, die dies nicht anerkennen wollen. Ich hoffe, dass sich in absehbarer Zeit die Tatsache, dass die Mehrheit der S-Deutschen sich diese Satzungsänderung wirklich wünscht, endgültig durchsetzt.
Die kleine Gruppe auf der cze Seite – damit meine ich die Kommunisten – kann aber in absehbarer Zukunft Einfluss auf die Außenpolitik der künftigen Regierung haben. Könnte dies die deu-cze Beziehungen negativ beeinflussen, wenn jemand das Gefühl haben sollte, dass Tschechien der Bundesrepublik zu sehr „an die Hand geht“?
Wahlen und die anschließende Regierungsbildung sind eine Sache, bei der es uns nicht zusteht, uns dazu zu äußern. Natürlich setzen wir darauf, dass die neue Regierung konstruktiv an der Lösung aktueller Fragen mitwirkt und weiter ein verlässlicher Partner ist. Davon würden wir alle profitieren. Wir sind offen für Gespräche und hoffen, dass es auf diesem Wege gelingt, die positive Entwicklung der letzten Jahre fortzusetzen.
Bedeutet es für die deutsche diplomatische Vertretung in CZE auch, dass man mehr in Kontakt mit der cze Öffentlichkeit treten sollte?
Daran sind wir sehr interessiert. Seit meiner Ankunft in Prag habe ich eine Reihe von öffentlichen Vorträgen und Diskussionen bestritten und dort sehr viel Interesse erfahren. Mein Anliegen ist es, dies nicht nur in Prag zu machen, sondern gezielt in die Regionen zu fahren und sich dort nicht nur mit den lokalen Politikern und Bürgermeistern zu treffen, sondern auch mit normalen Bürgern, und ihnen ein aktuelles Bild von Deutschland zu vermitteln.
Auf wie viel Interesse sind Sie dabei gestoßen?
Bei den meisten Anlässen mussten weitere Stühle hinzugestellt werden, was für mich ein Ausdruck eines erhöhten Interesses ist. Natürlich gab es auch kritische Fragen zu Themen, bei denen unsere Regierungen unterschiedliche Positionen vertreten, aber es war stets in einem freundschaftlichen und konstruktiven Ton und das hat mich gefreut.
Ihre Vorgänger haben gemeinsam mit dem österreichischen und schweizerischen Botschafter die šperchtíme-Kampagne ins Leben gerufen, um Deutsch an den Schulen zu stärken. Sehen Sie schon konkrete Ergebnisse?
Wir machen auch deswegen weiter, weil die Anzahl der Deutschlerner in den letzten Jahren leicht gestiegen ist, was uns sehr freut. Es hat auch sehr viel geholfen, dass an den tschechischen Schulen der Unterricht der zweiten Fremdsprache eingeführt wurde. Gerade hier spielt Deutsch eine bedeutende Rolle. Auch deswegen werden wir die Kampagne fortsetzen und wir wollen Sprachlehrer vorbereiten, ihnen Lehrmaterialien zur Verfügung stellen und im Kontakt mit dem Schulministerium bleiben. Der Sprachunterricht ist auch ein wichtiges Thema bei meinen Besuchen in den cze Regionen und bei den Gesprächen mit den Hauptleuten, Mitgliedern der Regionalräte und den Bürgermeistern. Es hat mich überrascht, dass das Interesse am Deutschunterricht manchmal höher war in Regionen, die von Deutschland relativ weiter entfernt sind, als in Grenzregionen wie etwa Karlsbad.
Im Rahmen Ihrer diplomatischen Karriere waren Sie auch der deutsche Vertreter bei der OPCW. Wie erklären Sie sich es, dass chemische Waffen in der letzten Zeit wieder eine „Renaissance“ erleben?
Die Weltgemeinschaft war auf dem Weg zu einer chemiewaffenfreien Welt schon sehr weit gekommen. Fast alle Staaten haben sich zu diesem Ziel bekannt. Doch dann wurden CW in Syrien, am Flughafen in Kuala Lumpur sowie in Salisbury eingesetzt. Leider ist es nicht gelungen, mit einer klaren und starken Antwort auf diese Ereignisse zu kommen, was mit einer kleinen Gruppe von Staaten zusammenhängt, die es blockieren. Die letzte Entwicklung ist ein Schritt zurück, denn bezüglich des Verbots von CW war die Welt weiter gekommen als im Falle von biologischen Waffen.
Kann es auch damit zusammenhängen, dass CW immer noch relativ leicht „verfügbar“ sind?
Wir waren Zeugen davon, dass auch Terroristen Zugriff zu diesen Waffen hatten und bei ihrem Einsatz nicht gezögert haben. Die letzten Beispiele deuten jedoch darauf hin, dass diese Angriffe von einzelnen Staaten geführt werden, zumal sie Arten von Waffen verwendet haben, die schwer herzustellen sind; das ist daran das Erschreckendste. Dabei ist noch ein weiterer Trend zu erwähnen, der damit Hand in Hand geht: die Verbreitung von Fake News, die den Einsatz dieser Waffen in Frage stellen. Sie versuchen Fakten zu widerlegen und das Mistrauen gegenüber der westlichen Gemeinschaft zu stärken. Da dürfen wir nicht nachgeben und müssen solidarisch bleiben und Fakten ständig wiederholen. Es ist nicht ganz sinnvoll, jedes Mal die absurdesten Nachrichten zu reagieren, aber die Ermittlungsergebnisse in Fällen, wo CW eingesetzt wurden, müssen wir der Öffentlichkeit offensiv präsentieren.
Vor Jahren hat man darüber nachgedacht, dass DEU das Palais Lobkowicz, den Sitz der Botschaft, von CZE kaufen könnte. Dann ist es nicht dazu gekommen. Warum?
Diese Frage ist gelöst. Es gibt von keiner Seite Bestrebungen, solche Verhandlungen wieder aufzunehmen. Der bestehende Mietvertrag läuft bis 2065, und damit sind beide Seiten sehr zufrieden. Wir sind natürlich sehr froh, dass wir in PL sein können, an einem Ort, der für die neuste deu Geschichte sehr bedeutend ist. Das Palais ist Symbol von Veränderung, Sehnsucht nach der Freiheit und der Wiedervereinigung DEUs. Ganz automatisch sind wir damit auch ein Magnet für deutsches, aber auch tschechisches Publikum. Daher veranstalten wir alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit Institutionen, die sich in deu-cze Beziehungen engagieren, einen Tag der offenen Tür, der dieses Jahr am 21. Juni stattfinden wird.