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Vertrauensvolle und vielschichtige Beziehung
Deutschland und Tschechien sind sich in den letzten 25 Jahren immer mehr näher gekommen, sagte Christoph Israng in einem Interview über die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder in einem Interview mit dem tschechischen Wirtschaftsmagazin Euro.
Herr Botschafter, die letzten Wachstumszahlen in Deutschland waren etwas positiver als erwartet. Herrscht wieder Optimismus?
Tschechien und Deutschland erfreuen sich einer starken Konjunktur und einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Wir erleben aber auch zunehmend verunsicherte Weltmärkte und müssen uns auf ein verändertes globales Handelsumfeld einstellen. Dies kann exportorientierte Marktwirtschaften wie die unserer Staaten beeinträchtigen. Es ist wichtig, dass die EU mit ihren Mitgliedsstaaten hier weiter für die Geltung der WTO-Regularien und die Beibehaltung und den weiteren Ausbau eines fairen Welthandelssystems eintritt.
Protektionistische Tendenzen im Welthandel, es drohen US-Zölle auf deutsche Autoimporte. Wie gefährlich sind diese Tendenzen aus Ihrer Sicht?
In der heutigen globalisierten Welt ist für Protektionismus kein Platz. Ich hoffe hier auf nachhaltige Lösungen und bin froh, dass es gelungen ist, die geplanten Zölle zwischen der EU und den USA zunächst abzuwenden. Ihre Auswirkungen wären dabei, glaube ich, weniger problematisch als das Signal, was durch solche Regelungen gesetzt würde und im Verhältnis zwischen den USA und China auch bereits gesetzt wurde. Unklare Andeutungen, Drohungen und einseitige, kurzfristig gedachte neue Zölle führen zu Unsicherheit und damit zu Investitionsstopps oder Preissteigerungen.
Was bedroht – und umgekehrt – was hilft aktuell den deutsch-tschechischen Beziehungen?
Wir sind Nachbarn und enge Partner in EU und NATO, mit vielen gemeinsamen Interessen. Dabei steht im Vordergrund, dass wir Sicherheit, Wohlstand und Fortschritt innerhalb eines auf gemeinsamen Werten und den Grundfreiheiten basierenden Europas schützen und voranbringen wollen.
Die Beziehungen zwischen unseren Staaten sind vertrauensvoll und vielschichtig. Sie werden getragen nicht nur vom engen politischen Austausch, sondern auch und gerade von den zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontakten über die gemeinsame Grenze hinweg. Historische Fragen spielen dabei immer weniger eine Rolle, wir können uns in unserer Zusammenarbeit auf die Gegenwart und Zukunft konzentrieren. Dies erlaubt einen ehrlichen, offenen Umgang miteinander auch bei Themen, wo die Meinungen auseinandergehen – und auch nur so gelingt es, Lösungen zu finden.
Tschechien ist wie Deutschland eine Exportnation. Nach Deutschland geht ein Drittel der tschechischen Ausfuhren. Es wird von einer „Abhängigkeit“ gesprochen. Wie sehen Sie das?
Deutschland und Tschechien sind beide für ihre Ingenieurskunst bekannt und hoch industrialisiert. Geographische Nähe und kurze Transportwege sind bereits seit langem weitere Gründe für Investoren, sich im jeweiligen Nachbarstaat niederzulassen. So sind heute Wertschöpfungsketten entstanden, die teilweise im Zickzack über die deutsch-tschechische Grenze verlaufen – und natürlich auch zu einer gewissen Abhängigkeit zwischen den Wirtschaftssystemen führen, zunehmend in beide Richtungen. Genau deshalb arbeiten wir auch gemeinsam an den großen Themen der Zukunft, um im globalen Wettbewerb gemeinsam bestehen zu können, sei es im Feld der Digitalisierung und Automatisierung, in der Forschung für die Mobilität der Zukunft oder in der Energieeffizienz.
Deutsch-tschechische Wirtschaftsbeziehungen heute und vor 25 Jahren? Wo sehen Sie in der Beziehung die größte Veränderung?
Wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch sind sich Deutschland und Tschechien in den letzten 25 Jahren immer näher gekommen. Vor allem der Blick in Deutschland auf den Wirtschaftsstandort Tschechien ist ein anderer geworden: Wo man früher vor allem günstige Lohn- und Produktionskosten sah, sieht man heute einen Partner in Innovation und Forschung. Deutlich zeigen dies die zahlreichen deutschen Investoren im Nachbarland, die hier F&E-Abteilungen eröffnet oder gar die gesamte Entwicklungssparte nach Tschechien verlegt haben. Aktuell weiß ich von mehreren deutschen Großinvestitionen in Forschungseinrichtungen in Tschechien, die in Deutschland kein Äquivalent finden würden.
Dahinter steht auch, dass Tschechien wirtschaftlich und technologisch mit beeindruckendem Tempo aufgeholt hat, insbesondere seit dem EU-Beitritt 2004.
Digitalisierung, Industrie 4.0. Wie eng können deutsche und tschechische Unternehmen wirklich dabei zusammenarbeiten?
Gerade durch Digitalisierung und die 4. Industrielle Revolution wird es immer unbedeutender, auf welcher Seite einer Staatsgrenze sich ein beteiligtes Unternehmen befindet. Im Tschechischen Institut für Informatik, Robotik und Kybernetik zum Beispiel finden sie Roboter, die über knapp 650 km Distanz mit Robotern im Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken zusammenarbeiten – sichtbar in einer VR-Brille, möglich durch Digitalisierung.
Hinzu kommt, dass das Interesse und der Bedarf in Deutschland und Tschechien ähnlich groß sind. Wir brauchen Digitalisierung, wir brauchen Industrie 4.0 um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Gemeinsam können wir hier noch mehr erreichen.
Stichwort Fachkräftemangel: Haben Sie eine Empfehlung, was kurzfristig und langfristig die Situation bessern würde?
Kurz- und mittelfristig glaube ich an die Relevanz von mehr Praxisnähe schon in der Ausbildung von neuen Fachkräften. So wird sichergestellt, dass jede Person mit Ausbildungsabschluss den Umgang mit den für ihre Tätigkeit wichtigen Maschinen und Materialien beherrscht und ohne Einarbeitungszeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Auch glaube ich, dass durch ein Zusammenwirken zwischen Firmen und Schulen nach dem Modell der dualen Berufsausbildung in Deutschland Ausbildungsberufe in den dringend gesuchten Tätigkeiten wieder attraktiver werden.
Aber sowohl Deutschland als auch Tschechien müssen mittel- und langfristig sicherstellen, dass die richtigen Fachbereiche ausgebildet und ältere Fachkräfte fortgebildet werden, um neue Technologien erfolgreich zu integrieren.
Nicht zuletzt kann der Zuzug ausländischer Arbeitnehmer helfen, wobei hier besonders wichtig ist, den Zuwanderern die richtigen Qualifikationen zukommen zu lassen, um sie in Arbeitsleben und Gesellschaft integrieren zu können.
Herr Botschafter, Sie sind jetzt seit mehr als einem Jahr im Amt. Was haben Sie sich persönlich für die nächsten Jahre vorgenommen?
Generell ist das Ziel, den Dialog zwischen unseren Ländern weiter zu intensivieren. Auf politischer Ebene hat dieser nach dem Abschluss der Regierungsbildung in beiden Ländern schon deutlich Fahrt aufgenommenen. In den Bereichen Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kultur gilt es, das hohe Niveau des Austauschs weiter aufrechtzuerhalten und - wo möglich - noch zu steigern. Dabei soll der Schwerpunkt besonders auch auf den Regionen außerhalb der Metropolen liegen.
Persönlich freue ich mich auf viele weitere Begegnungen in diesem wunderbaren Land, hoffentlich bei mir auch bald mit besseren Tschechisch-Kenntnissen.
Tereza Hofmanová
Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer