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Begegnungen und Gemeinsamkeiten - 27. Juni 2019 Tageszeitung Právo

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„....bei diesen Begegnungen können wir voneinander und übereinander lernen, womit alte Vorurteile korrigiert werden und Radikale, die diese Vorurteile immer noch pflegen, haben weniger eine Chance, Beziehungen zu erschweren.“ Lesen Sie mehr.

Wo haben Sie persönlich den Herbst 1989 erlebt?

Es war damals eine große Aufbruchsstimmung in Europa, Freiheit und Demokratie haben sich durchgesetzt und es war eben auch eine große Chance, dass Europa wieder zusammenwächst. Ich war damals Schüler in Bayern und habe das natürlich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Mit zwei Schulkameraden habe ich versucht, die Geschichte ein bisschen live mitzuerleben. Wir sind damals mit einem Käfer nach Berlin gefahren, um bei der Öffnung des Brandenburger Tors dabei zu sein.

Im Sommer und Herbst 1989 war die Prager Kleinseite voll von abgestellten Trabis der DDR-Bürger, denen es dann gelungen ist, durch die Botschaft der Bundesrepublik nach Westdeutschland zu kommen. Im Rahmen der bevorstehenden Feierlichkeiten suchen Sie Zeitzeugen. Melden sich auch Tschechen?

Wir freuen uns, dass es schon viele Antworten auf unseren Aufruf gegeben hat, in denen Zeitzeugen von damals ihre Erlebnisse schildern. Schön ist, dass sich auch einige Tschechen gemeldet und ihre Geschichten berichtet haben. Diese fassen wir auf der Webseite www.prag.diplo.de/rok1989 sowie der Facebook-Seite https://www.facebook.com/PragerBotschaften1989/?modal=admin_todo_tour zusammen und wir würden uns natürlich freuen, wenn sich noch mehr Zeitzeugen von damals mit ihrer Geschichte melden.

Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind auf allen Ebenen – von Spitzenpolitikern über Schulen aller Arten bis zu den Familien – auf bestem Niveau seit Jahrzehnten. Worauf führen Sie das zurück?

Für die deutsch-tschechischen Beziehungen haben wir die richtigen Instrumente – den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum oder den Strategischen Dialog – und all diese Instrumente führen dazu, dass sich immer mehr Deutsche und Tschechen begegnen. Und bei diesen Begegnungen können wir voneinander und übereinander lernen, womit alte Vorurteile korrigiert werden und Radikale, die diese Vorurteile immer noch pflegen, haben weniger eine Chance, Beziehungen zu erschweren.

Sie fahren ja in die Regionen und treffen dort natürlich viele verschiedene Personen, Menschen sämtlicher Altersgruppen – Senioren sowie Jugendliche  – gibt es irgendeine Gruppe, die dem Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen besonders zugeneigt ist?

Ich werde da keine Gruppe besonders hervorheben wollen. Natürlich, wie überall auf der Welt, sind die Jungen besonders offen für Neues, aber ich mache da eigentlich keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen.

Halten Sie die Bemühungen der EU bzw. Deutschlands, den V4-Staaten die Flüchtlingsquoten aufzuzwingen, und die damit verbundenen Drohungen, die EU-Subventionen zu  kürzen oder gar zu streichen, für einen Fehler? Viele Tschechen, mich nicht ausgenommen, sahen darin eine Parallele zu der Vorgehensweise des antiken Roms gegenüber dessen Provinzen – Getreide für die Gehorsamen, Legionen für die Rebellischen.

Das Jahr 2015 war eine Ausnahmesituation und wir sind uns eigentlich alle einig, dass sich 2015 nicht wiederholen darf. Dafür haben wir in Deutschland und in der EU insgesamt umfangreiche Maßnahmen getroffen, beispielsweise die EU-Türkei-Erklärung, die Kooperation mit den Herkunfts- und Transitstaaten, die Stärkung des Außengrenzschutzes und die Anpassung des deutschen Asylsystems. Das hat auch gewirkt, denn die Ankunftszahlen sind deutlich gesunken.

Hat Europa bereits das Schlimmste überstanden, sind wir, wie die Deutschen sagen, schon über den Berg?

Es gibt auch weiterhin Herausforderungen und Probleme. Selbst wenn wir die Sachen, bei denen wir uns einig sind, also die Stärkung des Außengrenzschutzes sowie der Herkunfts- und Transitländer, perfekt machen, wird es trotzdem noch Personen geben, die in Europa ankommen. Mit denen müssen wir gemeinsam umgehen und da müssen wir gemeinsam Lösungen finden. Ich glaube, dass sich die Haltung durchgesetzt hat, es gebe dabei verschiedene Möglichkeiten, sich innerhalb der Europäischen Union solidarisch zu zeigen. Und diesen gemeinsamen Weg müssen wir weiter fortsetzen.

Ich möchte in dieser Hinsicht noch auf ein Problem hinweisen und zwar, dass die EU immer noch nicht, falls sowas überhaupt möglich ist, zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsmigranten unterscheidet. Den Ersteren, die um ihr Leben und das ihrer Familien fürchten, muss man natürlich helfen.  Die Letzteren suchen hier ein besseres Leben, was jedoch kein Menschenrecht ist. Ich war im Herbst 2015 in einer Aufnahmeeinrichtung in Deutschland, wo ich einem Flüchtling aus Liberia begegnet bin. Dieser gab sich zunächst als ein Flüchtling aus Aleppo aus. Dann sagte er, er habe auf YouTube gehört, einige Länder im Norden bezahlten die Menschen dafür, dass sie leben. Er sprach also von Sozialleistungen. Was kann man dagegen unternehmen?

Diese Entscheidung zu treffen sowie die Konsequenzen daraus zu ziehen ist selbstverständlich eine wichtige Aufgabe des Asylsystems. Zugleich ist es auch wichtig, in den Herkunfts- und Transitländern zu informieren. Die Bundesregierung hat dort eine Informationskampagne gestartet, um aufzuklären und diese Mythen über ein Leben in Europa zu widerlegen.

Am Horizont zeichnet sich eine weitere Trennlinie zwischen den alten und den neuen EU-Ländern ab – die sog. Grüne Revolution. Nichts gegen den Klimaschutz, aber zum Beispiel die tschechische Autoindustrie – und darüber hat auch Premierminister Babiš gesprochen – verfolgt mit Beunruhigung die fehlende Bereitschaft, die Dinge zu durchdenken, sowie den Fanatismus von zumindest Teilen der Grünen.

Ich sehe diese Themen nicht als Spaltpotenzial, sondern als Chance einer engen Kooperation. Für uns ist klar, dass der Klimaschutz eine globale Herausforderung ist und kein Staat allein eine Lösung finden kann. Und gerade im Interesse unserer Kinder brauchen wir einen gemeinsamen Ansatz und da sehe ich auch sehr viele gemeinsame Initiativen der Zivilgesellschaft zwischen den Ländern Mittel- und Westeuropas und auch viele gemeinsame Ansätze.

In Bezug auf die Automobilindustrie vertreten Deutsche und Tschechen beinahe dieselben Interessen.

Beim Thema Automobil haben wir große Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Tschechien, da die Automobilindustrie in beiden Ländern eine sehr wichtige Rolle spielt und jetzt vor großen Herausforderungen steht. Da geht es nicht nur um die Reduzierung des CO2-Austoßes, sondern auch um neue Konzepte für die Mobilität in Zukunft. Die Firmen in beiden Ländern müssen neue Antworten auf diese Herausforderungen finden, um auch die wirtschaftlichen Erfolge, die wir bisher mit der Automobilindustrie in Tschechien und in Deutschland hatten, in der Zukunft fortsetzen zu können. Auch für uns in der Botschaft ist es eine wichtige Aufgabe, Experten und Forscher aus beiden Ländern zusammenzubringen, damit sie weiter an diesen Themen arbeiten.

Kann es nicht dazu kommen, dass Brüssel auf Drängen aus Berlin den Verzicht auf den Flugverkehr zum europäischen Wert erklärt, für den jetzt die schwedische Schülerin Greta Thunberg wirbt, so wie es vor vier Jahren mit der sog. Willkommenskultur der Fall war?

Ich sehe nicht,  dass so eine Initiative kommt. Wir müssen da auf individuelle Beiträge setzen, aber ich glaube nicht, dass jedes Detail des menschlichen Lebens mit Zwangsvorschriften geregelt werden sollte.

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft bekundete bei dem letzten Sudetendeutschen Tag in Regensburg, dass sie es begrüßen würde, wenn einer der künftigen Sudetendeutschen Tage in Tschechien stattfände. Von den tschechischen Parteien sind diesem Vorhaben nur die KDU-ČSL und die Piraten zugeneigt, also lediglich Oppositions- und keine Regierungsparteien. Wie wird sich dies Ihrer Meinung nach weiter entwickeln?

Insgesamt rate ich bei diesem Thema zu mehr Gelassenheit und ich freue mich darüber, dass immer mehr Tschechen verstehen, die Sudetendeutschen seien für sie keine Bedrohung, sondern eine Chance. In Deutschland gibt es keine andere Gruppe, die sich Tschechien so verbunden fühlt, wie die Sudetendeutschen. Kaum eine andere Gruppe investiert persönlich so viel in die Gestaltung der Beziehungen, beispielsweise bei der Renovierung von Kulturdenkmälern in der Tschechischen Republik. Und ich freue mich, dass die Extremisten auf beiden Seiten der Grenze, die die Vergangenheit als Vorwand missbrauchen wollen, um unsere gegenwärtige und zukünftige Zusammenarbeit zu torpedieren, immer weniger Einfluss auf die Gestaltung unserer Beziehungen haben.

Sie sagten, immer mehr Tschechen nehmen die Sudetendeutschen nicht mehr als Bedrohung wahr. Ist das eher Ihr Gefühl oder gibt es diesbezüglich irgendwelche Meinungsumfragen? Ich persönlich weiß von keiner solchen objektiven Umfrage.

Es gibt solche Umfragen, auch zu dieser konkreten Frage, z.B. von CVVM und Seznam, wo es nicht eine 90% Ablehnung gibt. Man sieht, dass die Offenheit in Mitteleuropa  gestiegen ist. Und was ich selber auch erlebe sind Initiativen aus der tschechischen Zivilgesellschaft, Begegnungen mit den Sudetendeutschen zu suchen und zu organisieren.

 

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