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 „Europa ist unsere Zukunft“

Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Rede an der Karls Universität in Prag.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Rede an der Karls Universität in Prag., © Bundesregierung

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In seiner Prager Rede nennt Scholz vier Bereiche, die aus seiner Sicht zentral für eine geopolitische Europäische Union sind. Denn Europa sei heute gefordert wie nie.

Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz n der Karls-Universität zu Prag, 29. August 2022

Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 konstatiert hat, hat auch erhebliche Folgen für Europa und die Europäische Union. In einer Rede an der Prager Karls-Universität definiert der Bundeskanzler am Montag, 29. August, diese Anforderungen und beschreibt sein Ziel einer geopolitischen Europäischen Union, die sich ihren Herausforderungen stellt – nach innen wie nach außen. Die Europäische Union war ursprünglich ein nach innen gerichtetes Friedensprojekt, das nun seine Werte verteidigen und seine Unabhängigkeit und Stabilität auch nach außen sichern muss.

Prag als Ort für diese europapolitische Standortbeschreibung, ist nicht zufällig ge-wählt. Tschechien hat gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die tschechische Hauptstadt ist ein Sinnbild für Europa, für seine Geschichte mit ihren Höhen und Tie-fen. Prag steht dafür, dass wir in der EU nur gemeinsam, als gleichberechtigte Mit-glieder – Ost und West, Nord und Süd – zu guten Lösungen kommen werden.

Der russische Angriffskrieg zeigt: Eine wertebasierte, gut koordinierte Außenpoli-tik ist die Voraussetzung für ein geopolitisches Europa. Dafür muss sich die Union zu Hause breiter aufstellen – mit regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungs-chefs aller europäischer Länder im Forum einer Europäischen Politischen Ge-meinschaft, wie sie Frankreichs Staatspräsident Macron vorgeschlagen hat. Zugleich soll die EU neue globale Partnerschaften in Asien, Afrika und Lateinamerika schlie-ßen, um ihr politische Gewicht in der Welt zu erhöhen.

In seiner Prager Rede nennt Bundeskanzler Scholz vier Bereiche, die aus seiner Sicht zentral sind für eine geopolitische Europäische Union.

1. Ein erweitertes und reformiertes Europa

 

Die Erweiterung der EU ist notwendig, um Stabilität innerhalb Europas zu sichern und unsere gemeinsamen Werte zu schützen. Der Europäische Rat hat der Ukraine und Moldau im Juni den Kandidatenstatus verliehen und ihn Georgien in Aussicht ge-stellt. Bereits seit fast zwei Jahrzehnten warten die Staaten des Westlichen Balkans auf den Beitritt, es wird Zeit, das Versprechen einzulösen. Die Kandidatenländer des Westlichen Balkans, die Ukraine, Moldau und perspektivisch Georgien verdie-nen konsequente Unterstützung auf ihrem Weg, sich beitrittsfähig zu machen.

Gleichzeitig muss eine erweiterte Europäische Union mit 30 oder 36 Mitgliedstaaten ihre eigenen Entscheidungsstrukturen verbessern, um handlungsfähig zu bleiben: Mit mehr Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit im Rat; einer neuen Ba-lance für die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments; mit einer Kommis-sion, die weiter ein Kommissionsmitglied pro Mitgliedstaat umfasst, aber sich in-tern effizienter organisiert.

2. Ein souveräneres Europa

Spätestens der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat allen gezeigt: Europa muss unabhängiger und stärker werden. Mit dem Ausbau weltweiter Handelsbe-ziehungen, diversifizierter Lieferbeziehungen und einer echten europäische Kreis-laufwirtschaft kann Europa die nötige Souveränität erreichen. Selbstbewusst sollte Europa technologische Souveränität durch Standardsetzung bei Schlüsseltech-nologien anstreben und sein Innovationspotential ausschöpfen, sei es bei der Mikrochip-Produktion oder durch einen Europäischen Raum für Mobilität. Klimaneut-ralität bis 2050 bleibt Priorität. Mit einem EU-Energiebinnenmarkt, einem EU-Was-serstoff-Netz, einer Ladeinfrastruktur für PKW und LKW und Investitionen in kli-mafreundlichen Flugverkehr ist dies zu erreichen.

Die Zeitenwende ist auch ein außenpolitischer Weckruf: Wir müssen die außen-, si-cherheits-, verteidigungspolitischen Strukturen Europas stärken. Und wir müs-sen unsere militärischen Fähigkeiten innerhalb der EU und mit der NATO besser ab-stimmen. Ein eigenständiger Rat der EU-Verteidigungsminister/innen und eine schnelle Eingreiftruppe der EU bis 2025 mit voll ausgestattetem EU-Hauptquartier sind dafür nötig.

3. Alte Konflikte überwinden, neue Lösungen wagen

Um die richtigen Antworten auf die Zeitenwende zu geben, muss die EU noch mehr Geschlossenheit zeigen, alte Konflikte überwinden und neue Lösungen finden. Die Migrations- und die Finanzpolitik als zentrale und konfliktreiche Politikbereiche sind dafür beispielgebend:

Europa bleibt Sehnsuchtsort für viele Menschen in der Welt – daher braucht es eine realistische, vorausschauende Migrationspolitik. Dazu gehört ein faires und krisenfestes Asylsystem mit einem wirksamen und rechtstaatlichen Außengrenz-schutz. Und es braucht einen Paradigmenwechsel: Legale Arbeitsmigration muss ge-fördert, irreguläre Migration begrenzt werden. Drittstaaten, die bei der Rücknahme kooperieren, sollten im Gegenzug Wege legaler Migration erhalten; anerkannte Asyl-suchende viel früher als heute (nach fünf Jahren) in anderen Mitgliedstaaten Arbeit suchen dürfen. Gleichzeitig muss Missbrauch effektiv unterbunden werden. Bundes-kanzler Scholz plädiert dafür, Rumänien, Bulgarien und Kroatien als Schengen- Vollmitglieder aufzunehmen, um den grenzfreien Schengen-Raum zu vervollständi-gen und zu stärken.

In der Pandemie hat die Europäische Union große finanzielle Solidarität bewiesen. Gleichzeitig hat Corona die Schuldenstände steigen lassen. Bei der nötigen Diskus-sion über den Schuldenabbau ist ein realistischer Ansatz wichtig, der im Blick behält, dass zentrale Transformationsinvestitionen möglich sind. Der Bundeskanzler schlägt daher vor, die EU-Fiskalregeln gemeinsam in diesem Sinne fortzuentwickeln. Für Krisenzeiten könnte die EU aus den Erfahrungen des SURE-Programms zur Unter-stützung für Kurzarbeit während der Coronapandemie lernen.

4. Europas Werte verteidigen und den Rechtsstaat achten

 

Schließlich: Europa ist eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, die als Basis unseres Zusammenlebens geschützt werden muss: Bundeskanzler Olaf Scholz schlägt dafür vor, dass die Kommission künftig auch bei Verstößen gegen EU-Grundwerte Ver-tragsverletzungsverfahren einleiten kann, dass Blockademöglichkeiten im Art. 7- Rechtsstaatsverfahren abgebaut und EU-Zahlungen künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit verknüpft werden.

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